| Aktuell, EU-Flüchtlingspolitik Nein zur Instrumentalisierung durch die Hintertür

Trotz der kurzen Zeit haben sich schon 55 Organisationen, zu denen auch der Flüchtlingsrat NRW gehört, dem Statement „Nein zur Instrumentalisierung durch die Hintertür“ angeschlossen.

Statement vom 5. Juli 2023:

Nein zur „Instrumentalisierung“ durch die Hintertür!
Das Recht an den EU-Außengrenzen einhalten, nicht verbiegen!

Gerade erst haben die EU-Innenminister*innen sich auf verschärfte Grenzverfahren (unter Anwendung einer „Fiktion der Nicht-Einreise“, die absehbar zu Haft oder haftähnlicher Unterbringung führen wird), auf eine Ausweitung des Konzepts der „sicheren Drittstaaten“ sowie auf einen unzuverlässigen Solidaritätsmechanismus und die weitgehende Beibehaltung des Dublin-Systems geeinigt.

Doch der Tiefpunkt ist noch nicht erreicht: Es wird mit Hochdruck an einer weiteren massiven Verschärfung gearbeitet. Die schwedische EU-Präsidentschaft hatte noch auf den letzten Metern ihrer Präsidentschaft die „Verordnung für Ausnahmen im Falle von Krisen, Instrumentalisierung und höherer Gewalt“ (Stand 23. Juni 2023) auf den Weg gebracht, nun macht die spanische Präsidentschaft mit den Vorschlägen weiter. Es sollen unter anderem die Verzögerung von Registrierungen, die Verlängerung von Grenzverfahren – dann für so gut wie alle Gruppen von Geflüchteten – sowie massive Absenkungen bei den Unterbringungs- und Aufnahmestandards möglich werden. Der Verordnungsentwurf wird aktuell zwischen den EU-Staaten verhandelt.

Die von der Bundesregierung für die GEAS-Reform gewünschten Ausnahmen vom Grenzverfahren für Kinder oder andere vulnerable Personen wären dem Verordnungsentwurf nach vom Tisch. Auch droht eine Legitimierung der Menschenrechtsverletzungen an den Außengrenzen.

Bereits im Dezember 2022 appellierten 35 Organisationen an die Bundesregierung, dem damaligen Vorstoß für eine Instrumentalisierungsverordnung nicht zuzustimmen. In ihrem Prioritätenpapier spricht sich die Bundesregierung gegen die Aufnahme der Verschärfungen im Fall einer Instrumentalisierung aus. Angesichts der nun beginnenden Verhandlungen im Rat über die Krisen-Verordnung, in die die Vorschläge im Falle der „Instrumentalisierung“ eingefügt wurden, fordern wir erneut mit Nachdruck: Die Bundesregierung muss bei ihrem „Nein“ zur Instrumentalisierungsverordnung bleiben und darf einer Einführung der Krisen- Verordnung nicht zustimmen.

„Das Leid an den Außengrenzen beenden“

Seit Jahren verüben Mitgliedsstaaten der Europäischen Union an den Außengrenzen der EU – unter anderem mittels Notstandsmaßnahmen – schwerwiegendste Menschenrechtsverletzungen. Der Ausnahmezustand wird dazu genutzt, den Schutzsuchenden den Zugang zu humanitärer Hilfe zu verwehren und die Öffentlichkeit auszuschließen, um die Gewalt an der Grenze zu verbergen. Statt frierenden Menschen in den Urwäldern an der Grenze zu Belarus medizinisch zu helfen und ihr Asylverfahren einzuleiten, prügeln polnische Grenzschützer sie über die Grenze zurück. Statt Menschen aus Seenot zu retten, drängt die griechische Küstenwache schutzsuchende Menschen auf der Ägäis Richtung Türkei.

Das ist eine Krise der Menschlichkeit und eine Krise der Menschenrechte. Es ist auch eine Krise der Rechtsstaatlichkeit in der EU. Die Bundesregierung hat es sich mit dem Koalitionsvertrag zum Ziel gemacht, „die illegalen Zurückweisungen und das Leid an den Außengrenzen [zu] beenden“. Die nun diskutierte Verordnung wäre ein weiterer Schritt hin zu einem Europa, in dem grundlegende Werte wie Menschenwürde und Flüchtlingsschutz nicht zählen. Die Bundesregierung kann jetzt noch im Rat entscheidenden Einfluss nehmen.

Recht einhalten, nicht verbiegen

Der Entwurf der Verordnung für den Fall von Krise, Instrumentalisierung und höherer Gewalt sieht vor, europäische Vorschriften für Asylverfahren sowie für die Unterbringung und Versorgung von Schutzsuchenden weit unter jedes erträgliche Minimum abzusenken. Im Falle einer Instrumentalisierung würde eine Regelung im Schengener Grenzkodex durch die Schließung von Grenzübergängen es fliehenden Menschen nahezu unmöglich machen, an den Außengrenzen einen Asylantrag zu stellen. Statt schutzsuchende Menschen zu schützen, erhöht besonders das Konzept der Instrumentalisierung sogar noch die Gefahr, dass diese illegal – und oft mit Gewalt – zurückgeschoben werden. Wenn es doch jemand schafft, einen Asylantrag zu stellen, erlaubt es die Verordnung, diese Person bis zu fünf Monate zu inhaftieren. Dies betrifft auch Traumatisierte, Menschen mit Behinderung, Familien und allein fliehende Kinder. An den Grenzen werden die Bedingungen, wie auf den griechischen Inseln und anderswo häufig genug gesehen, absehbar menschenunwürdig sein. Notwendige unabhängige rechtliche Beratung oder medizinische und psychologische Unterstützung werden kaum möglich sein.

Nein zu einer Instrumentalisierung durch die Hintertür, Nein zum aktuellen Entwurf der Krisen-Verordnung

Die Verordnung für den Fall von Krise, Instrumentalisierung und höherer Gewalt droht an den Außengrenzen den schon bestehenden Ausnahmezustand rechtlich zu zementieren. Das können und wollen wir nicht hinnehmen. Europäisches Recht muss wieder angewendet werden – die vorgelegte Verordnung verbiegt aber das Recht und ermöglicht es, das geltende Recht an den Außengrenzen zu brechen. Die unterzeichnenden Organisationen fordern die Bundesregierung eindringlich auf, dies nicht zuzulassen und in den Verhandlungen im Rat eine klare rote Linie zu ziehen.

Unterzeichnende Organisationen, Stand 4. Juli 2023

Bundesebene:

Ärzte ohne Grenzen e.V.

Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF)

Amnesty International Deutschland e.V.

Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im Deutschen Anwaltverein

AWO Bundesverband e.V.

borderline-europe, Menschenrechte ohne Grenzen e.V.

Brot für die Welt

Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit e.V.

Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge - BumF e.V.

Bundesweite Arbeitsgemeinschaft PRO ASYL Der Paritätische Gesamtverband

Deutsche Gesellschaft für systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF e.V.)

Deutscher Caritasverband e.V. Diakonie Deutschland

ECCHR: European Center for Constitutional and Human Rights

ECPAT Deutschland e.V.
Equal Rights Beyond Borders e.V.

FORUM MENSCHENRECHTE – Netzwerk deutscher Menschenrechtsorganisationen

IPPNW e.V. - Deutsche Sektion der Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkriegs /Ärzt*innen in sozialer Verantwortung

Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland

Landesebene

Arbeitsgemeinschaft der Diakonie in Rheinland-Pfalz

Berlin hilft

Berliner Netzwerk für besonders schutzbedürftige geflüchtete Menschen (BNS)

Diakonie Schleswig-Holstein Flüchtlingsräte der Bundesländer

Jugendliche ohne Grenzen

JUMEN e.V. - Juristische Menschenrechtsarbeit in Deutschland

Kindernothilfe e.V.

KOK – Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V.

Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V. #LeaveNoOneBehind

Lesben- und Schwulenverband (LSVD) medico international

MISSION LIFELINE International e.V.

Ökum. Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche e.V.

pax christi - Deutsche Sektion e.V. r42 - Sail and Rescue

Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V.

RESQSHIP e.V.

Sea-Watch

Seebrücke

SOLWODI Deutschland e.V. SOS Humanity

Stiftung für die Internationalen Wochen gegen Rassismus

terre des hommes

United4Rescue – Gemeinsam retten e.V.

Verband alleinerziehender Mütter und Väter e.V. (VAMV)

ver.di Bundesmigrationsausschuss Zukunftsforum Familie e.V.

Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migrant_innen e.V.

Landesintegrationsrat NRW

REFUGIO Thüringen

Wir packen's an e.V. - Nothilfe für Geflüchtete

XENION – Psychosoziale Hilfen für politisch Verfolgte e.V.

Zentrum Überleben

 

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Ehrenamtspreis des Flüchtlingsrates NRW

Mit dem Ehrenamtspreis möchte der Flüchtlingsrat NRW das ehrenamtliche Engagement von in der Flüchtlingshilfe aktiven Initiativen und Einzelpersonen in NRW ehren und diese in ihrer Arbeit stärken.

Weitere Informationen zum Ehrenamtspreis finden Sie hier.

Nein zur Bezahlkarte: Ratsbeschlüsse aus nordrhein-westfälischen Kommunen

In dieser regelmäßig aktualisierten Übersicht dokumentiert der Flüchtlingsrat NRW, welche Kommunen sich bisher gegen die Einführung einer Bezahlkarte für Schutzsuchende entschieden haben.

Die Übersicht finden Sie hier.

Keine Propaganda auf Kosten von Flüchtlingen! Argumentationshilfen gegen Vorurteile

Der Flüchtlingsrat NRW e.V. stellt einen Flyer sowie eine ausführliche Argumentationshilfe zur Entkräftung von Vorurteilen (Stand: November 2023) bereit.

Den Flyer und die Argumentationshilfe finden Sie hier.

Broschüre zum Engagement für Flüchtlinge in Landesunterkünften

Der Flüchtlingsrat NRW hat die Broschüre „Ehrenamtlich engagiert – für Schutzsuchende in und um Aufnahmeeinrichtungen des Landes NRW“ aktualisiert (Stand Dezember 2021).

Die Broschüre können Sie hier herunterladen.

Kooperations- und Fördermöglichkeiten für flüchtlingspolitische Veranstaltungen und Projekte

Broschüre des FR NRW, Stand März 2024, zu verschiedenen Institutionen, die fortlaufend für eine finanzielle Unterstützung von Projekten und Veranstaltungen zu flüchtlingspolitischen Themen angefragt werden können.

Mehr dazu

Forum Landesunterbringung

Neues Webforum "Flüchtlinge in Landesaufnahmeeinrichtungen in NRW (WFL.NRW)" jetzt online!
Das Webforum möchte einen Einblick in die Situation von Flüchtlingen in Landesaufnahmeeinrichtungen ermöglichen.

Das Webforum finden Sie hier.

 

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