| Ukraine, Asylbewerberleistungen und Sozialleistungen Anspruch auf Eingliederungshilfe für Geflüchtete aus der Ukraine: Sozialgericht Nürnberg verpflichtet Bezirk zur Leistungserbringung
In einer Rundmail vom 21. März 2023 erläutert die GGUA e.V. die Bedeutung eines aktuellen Urteils des Sozialgerichts Nürnberg zum Anspruch auf Eingliederungshilfe.
Die GGUA e.V. bezieht sich darin auf eine Meldung des Paritätischen Gesamtverbands zu einem Beschluss des SG Nürnberg vom 9. März 2023.
In dem Eilbeschluss hat das Sozialgericht die Bezirksregierung von Mittelfranken verpflichtet, einem ukrainischen Jungen mit Trisomie 21 Leistungen der Eingliederungshilfe (Besuch einer Heilpädagogischen Tagesstätte) zu gewähren. Der Junge hat eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG. Zuvor hatte die Behörde die Eingliederungshilfe abgelehnt und dies mit § 100 Abs. 1 SGB IX begründet. Demnach besteht für nicht-deutsche Staatsangehörige in bestimmten Fällen kein Anspruch auf Eingliederungshilfe, sondern die Bewilligung erfolgt im Einzelfall nur nach Ermessen. Diese Reduzierung auf Ermessensleistungen gilt dann, wenn die Person einen befristeten Aufenthaltstitel besitzt und aus Sicht der Behörde nicht absehbar ist, dass sie sich „voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten wird" (§ 100 Abs. 1 S. 2 SGB IX). Aus Sicht der Behörde ist mit § 24 AufenthG nicht von einem dauerhaften Aufenthalt auszugehen, da der Krieg in der Ukraine „noch nicht so lange" dauere und eine Rückkehr perspektivisch möglich sei. In der Ukraine gebe es eine gute medizinische Versorgung. Deshalb sei die Finanzierung der Tagesstätte „zwar geeignet, den Antragsteller zu fördern und zu integrieren, sie sei aber nicht angemessen. Auch sei sie nicht erforderlich."
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Über den Einzelfall hinaus macht der Fall einmal mehr deutlich: Die „Ausländer*innenklausel" bei der Eingliederungshilfe in § 100 SGB IX muss schnellstens gestrichen werden! Die diskriminierende Regelung führt dazu, dass Menschen mit Behinderung regelmäßig die ihnen zustehenden Leistungen verweigert werden, obwohl sie aufgrund ihrer Behinderung erforderlich sind. Dies gilt beispielsweise für
- Asylsuchende,
- Geduldete,
- Personen mit verschiedenen (befristeten) Aufenthaltstiteln,
- Unionsbürger*innen und ihre Familienangehörigen.
Die GGUA e.V. gelangt zu der folgenden Schlußfolgerung für die Praxis und schließt mit dem Hinweis auf nützliche Arbeitshilfen zu dem Thema:
In der Praxis empfiehlt es sich für die Beratung, für alle Klient*innen – unabhängig vom Aufenthaltsstatus und Leistungsanspruch – die erforderlichen Leistungen der Eingliederungshilfe zu beantragen, die in anderen Fällen auch beantragt würden. Bei Ablehnung aufgrund des Aufenthaltsstatus sollten Rechtsmittel und ggfs. auch ein Eilantrag dagegen eingelegt werden. Politisch muss die in § 100 SGB IX gesetzlich verankerte Diskriminierung für Menschen mit Behinderung, aber ohne deutsche Staatsangehörigkeit, dringend gestrichen werden.
Hier gibt es hilfreiche Arbeitshilfen zum Thema Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung ohne deutsche Staatsangehörigkeit:
- Passage gGMbH und Caritasverband für die Diözese Osnabrück: „Leitfaden zur Beratung von Menschen mit einer Behinderung im Kontext von Migration und Flucht" (Mai 2022)
- Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer: „Leistungen der Eingliederungshilfe für Geflüchtete" (August 2020)
- Deutsches Institut für Menschenrechte: „Geflüchtete Menschen mit Behinderungen – Handlungsnotwendigkeiten für eine bedarfsgerechte Aufnahme in Deutschland" (März 2018)