| Frauen und Familie Kein Ort für Kinder - Zur Lebenssituation von minderjährigen Geflüchteten in Aufnahmeeinrichtungen
Anbei finden Sie eine Studie von Nerea González, Méndez de Vigo, Franziska Schmidt und Tobias Klaus im Auftrag von terre des hommes:
Der Lockdown während der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 hat viele Familien und Kinder in ihren gewohnten Abläufen stark eingeschränkt. Der Zugang zu Kita, Schule und Spielplatz, aber auch spontane Treffen mit Gleichaltrigen sind weitgehend weggefallen. Der fast zweimonatige Stillstand bedeutete für Kinder und Jugendliche einen physischen und psychischen Ausnahmezustand, da sie auf Dinge verzichten mussten, die für ihre Entwicklung essentiell wichtig sind: Bewegungsfreiheit, Zugang zu Bildungsangeboten, Kontakt zu Gleichaltrigen.
Kinder und Jugendliche, die mit ihren Familien nach Deutschland geflüchtet sind, erleben ihre Ankunftszeit als permanenten Lockdown – ob mit oder ohne Corona-Pandemie. Für bis zu sechs Monate, teilweise auch länger, leben sie in Aufnahmeeinrichtungen, die in einigen Ländern als AnkER-Einrichtungen bezeichnet werden. Das Konzept für AnkER-Einrichtungen wurde mit dem Ziel entworfen, die notwendigen Verwaltungsverfahren bei der Aufnahme von geflüchteten Menschen an zentralen Orten zu bündeln, die kommunale Verteilung erst nach Feststellung des Schutzstatus zu erlauben und schnellere Abschiebungen zu ermöglichen.
In der vorliegenden Studie wird die Entwicklung der Aufnahmebedingungen und ihre Auswirkungen auf Kinder seit dem Jahr 2015 nachskizziert und analysiert. Neben einer juristischen Einordnung werden dazu Fallbeispiele aus drei Bundesländern vorgestellt. Die bisherige Fokussierung der öffentlichen Debatte und Kritik an der Gestaltung der AnkER-Einrichtungen in Bayern soll erweitert werden. Denn: Die Idee der Zentralisierung und der Verlängerung des Aufenthalts in Aufnahmeeinrichtungen, um Verwaltungsprozesse zu erleichtern und Abschiebungen aus Einrichtungen abseits der öffentlichen Beobachtung durchführen zu können, hat sich in vielen Bundesländern durchgesetzt. Auch wenn die entsprechenden Einrichtungen nicht offiziell als AnkER-Einrichtungen bezeichnet werden.
Die Ergebnisse der Recherche sind eindeutig: Aufnahmeeinrichtungen sind keine Orte für Kinder. Der Aufenthalt für Kinder und ihre Familien sollte dementsprechend dort möglichst kurz sein. Während der Zeit in den Aufnahmeeinrichtungen sind die betroffenen Kinder und Jugendlichen vielen Einschränkungen und Begrenzungen ausgesetzt. Sie haben keinen Zugang zur Regelschule, regulären Kitaangeboten, keine Privatsphäre und kaum Unterstützung durch die Jugendhilfe. Gleichzeitig erleben sie Gewalt und Abschiebungen in ihrem direkten Wohnumfeld. Aufenthaltszeiten von bis zu sechs Monaten an solchen Orten stehen in Widerspruch zu ihren in der UN-Kinderrechtskonvention ver-ankerten Rechten. Zudem verhindern sie eine schnelle Integration der zahlreichen Kinder und Jugendlichen, die über längere Zeit oder dauerhaft in Deutschland bleiben.
In den letzten fünf Jahren sind durch den Gesetzgeber eine Vielzahl von asyl- und aufenthaltsrechtlichen Regelungen verschärft worden. Dies betrifft auch die Lebenssituation in Aufnahmeeinrichtungen. Trotz der umfangreichen Änderungen, die nachhaltig das Leben von Tausenden von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien in Deutschland beeinflussen und beschränken, wurden die Folgen für sie weitgehend unberücksichtigt gelassen und sind bis heute nicht untersucht. Diese Studie leistet an dieser Stelle einen wichtigen Beitrag und nimmt die Einschränkungen der Rechte geflüchteter Kinder und Jugendlicher, die in Aufnahmeeinrichtungen leben müssen, in den Blick und fragt nach ihren Folgen.
Die Studie in voller Länge finden Sie hier.