| Aktuell, EU-Flüchtlingspolitik Flüchtlingsgipfel: Der Diskurs wird nach rechts verschoben

Pressemitteilung Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. vom 11. Mai 2023:

 

Die Ergebnisse des gestrigen Flüchtlingsgipfels stellen eine deutliche Diskursverschiebung nach rechts dar: Erstmals erklären Bund und Länder in einem gemeinsamen Papier ihre Bereitschaft zur Etablierung eines verpflichtenden Grenzasylverfahrens an den EU-Außengrenzen. Wenn auch diese Erklärung noch mit Einschränkungen versehen ist (nur „für bestimmte Personengruppen" und natürlich „rechtsstaatlich"), ist der Beschluss doch ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu einer Externalisierung des Asylverfahrens. Am Ende dieses Prozesses wird man Flüchtlingen den Zugang zu einem Asylverfahren in Europa ganz verweigern mit dem Hinweis, sie hätten in zweifelhaften Drittstaaten schon Schutz gefunden oder finden können. Pushbacks in Griechenland, Kroatien, Polen oder Litauen, der Aufbau libyscher „Seenot-Leitstellen" durch die EU zum Zweck des Rücktransports von Geflüchteten in libysche Folterlager  oder die Internierung von Geflüchteten in Abschiebungslagern an den europäischen Grenzen verdeutlichen, wie bigott Europa mit Menschenrechtsfragen hantiert, wenn es um Flüchtlinge geht.

Die Aufnahme großer Zahlen von geflüchteten Menschen stellt, da besteht kein Zweifel, eine Herausforderung auch für die deutsche Gesellschaft dar. Dass und wie eine Interpretation der Zahlen jedoch rassistisch überformt und mit dem Ziel einer gezielten Stimmungsmache vorgenommen wird, hat der Verein „Berlin Hilft" gut herausgearbeitet. Deren Analyse der Flüchtlingszahlen verdeutlicht, dass offenkundig nicht die Zahl der Geflüchteten, sondern die Herkunft der Geflüchteten entscheidend für die Frage ist, ob Geflüchtete im öffentlichen Drama als „Problem" definiert werden. Der Forderung der Integrationsministerkonferenz vom 27.04.2023, alle Geflüchteten gleich zu behandeln, wollen Bund und Länder gerade nicht entsprechen.

Für die von Ländern und Kommunen geforderte stärkere Beteiligung des Bundes an den Kosten der Flüchtlingsaufnahme hätte es, worauf Claudius Vogt von der GGUA Münster zu recht hingewiesen hat, eine einfache Lösung gegeben: Die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Mit einem solchen Schritt hätte sich auch die von allen Seiten geforderte, schnellere Teilhabe von Geflüchteten herbeiführen lassen: Die Betroffenen wären wieder ins SGB II eingegliedert worden, und nicht die Sozialämter, sondern die Jobcenter wären zuständig. Geflüchtete würden nicht nur gleichwertige Leistungen erhalten, sondern auch von Beginn an (und nicht erst nach 18 Monaten) eine systematische Beratung und Vermittlung in den deutschen Arbeitsmarkt erhalten. Die Menschen hätten eine Krankenversicherung, die ihren Namen verdient, und der Bund trüge, wie bei allen anderen Leistungsberechtigten im SGB II, die ganz überwiegenden Kosten. Natürlich müssten parallel die Arbeitsverbote gestrichen werden, damit auch eine ausländerrechtliche Erwerbsfähigkeit gegeben wäre – aber das ist ja ohnehin im Ampel-Koalitionsvertrag vereinbart. Stattdessen fordern Bund und Länder nun schärfere Sanktionen und noch mehr Ausgrenzung, angefangen bei Grenzkontrollen und Schleierfahndung über die Deklaration von weiteren „Sicheren Herkunftsstaaten" bis zur Erleichterung und Beschleunigung von Abschiebungen – Claudius Vogt nennt diese Politik zu Recht „erbärmlich". Selbst anerkannte Geflüchtete sollen eingeschränkte Sozialleistungen und Sachleistungen in Gemeinschaftsunterkünften erhalten, weil eine „Ungleichbehandlung" vermieden werden müsse. Zu welchen Schäbigkeiten wollen sich Bund und Länder noch verabreden?

Das eigentliche Problem im Bereich des sog. „Rückführungsmanagements" stellen rechtsstaatliche Mängel der Arbeit der damit beauftragten Beamten dar: Rund 50% aller Haftbeschlüsse erweisen sich bei Überprüfung durch die Gerichte am Ende als rechtswidrig. Statt endlich für rechtsstaatliche Verfahren zu sorgen, wollen Bund und Länder mit einem ganzen Strauß von rechtsstaatlich äußerst bedenklichen Maßnahmen (Neue Haftgründe, Erweiterung der Höchstdauer des Ausreisegewahrsams, Legitimierung von Hausfriedensbruch bei Geflüchteten, Auslesen von Mobiltelefonen, Abschiebung in Einzelfällen trotz geltenden Abschiebungsstopps usw.) den Abschiebungsvollzug ausweiten. Zu erwarten ist in der Folge eine Brutalisierung des Abschiebungsvollzugs und eine Ausweitung von Rechtsverstößen durch die Vollzugsbehörden.

 

Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
Röpkestr. 12
30173 Hannover

 

 

 

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Ehrenamtspreis des Flüchtlingsrates NRW

Mit dem Ehrenamtspreis möchte der Flüchtlingsrat NRW das ehrenamtliche Engagement von in der Flüchtlingshilfe aktiven Initiativen und Einzelpersonen in NRW ehren und diese in ihrer Arbeit stärken.

Weitere Informationen zum Ehrenamtspreis finden Sie hier.

Nein zur Bezahlkarte: Ratsbeschlüsse aus nordrhein-westfälischen Kommunen

In dieser regelmäßig aktualisierten Übersicht dokumentiert der Flüchtlingsrat NRW, welche Kommunen sich bisher gegen die Einführung einer Bezahlkarte für Schutzsuchende entschieden haben.

Die Übersicht finden Sie hier.

Keine Propaganda auf Kosten von Flüchtlingen! Argumentationshilfen gegen Vorurteile

Der Flüchtlingsrat NRW e.V. stellt einen Flyer sowie eine ausführliche Argumentationshilfe zur Entkräftung von Vorurteilen (Stand: November 2023) bereit.

Den Flyer und die Argumentationshilfe finden Sie hier.

Broschüre zum Engagement für Flüchtlinge in Landesunterkünften

Der Flüchtlingsrat NRW hat die Broschüre „Ehrenamtlich engagiert – für Schutzsuchende in und um Aufnahmeeinrichtungen des Landes NRW“ aktualisiert (Stand Dezember 2021).

Die Broschüre können Sie hier herunterladen.

Kooperations- und Fördermöglichkeiten für flüchtlingspolitische Veranstaltungen und Projekte

Broschüre des FR NRW, Stand November 2023, zu verschiedenen Institutionen, die fortlaufend für eine finanzielle Unterstützung von Projekten und Veranstaltungen zu flüchtlingspolitischen Themen angefragt werden können.

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